Zurück ins Leben

 Zurück ins Leben 

Foto: Iurii Gagarin/stock.adobe.com

Zurück ins Leben
Ehemalige Strafgefangene finden oft nur schwer zurück in die Gesellschaft. Soziale Kontakte sind weggebrochen, viele haben weder Wohnung noch Arbeit. Die Straffälligenhilfe ist meist die einzige Brücke in ein geregeltes Leben. Die Diakonie RWL fordert, mehr Beratungsmöglichkeiten zu schaffen, die verlässlich finanziert werden.
 
40 Jahre hat der 62-jährige Peter W. in Haft verbracht. "Immer wieder war er zwischendurch auch draußen, konnte aber wegen seiner Drogensucht nie Fuß fassen", berichtet Diplompädagogin Petra Söder. Seine letzte Hoffnung: das Wichernhaus in Wuppertal. Die wenigsten Haftentlassenen, die hier unterkommen, haben schon so viel Zeit hinter Gittern verbracht wie Peter W. Aber wie in seinem Fall seien Sucht und Drogen bei den meisten Bewohnern der Hauptgrund für ihre Straffälligkeit, sagt Söder, Einrichtungsleiterin Straffälligenhilfe der Wichernhaus Wuppertal gemeinnützige GmbH. „Die meisten sind zudem sozial entwurzelt." Im Wichernhaus bekommen sie nicht nur Unterstützung bei der Arbeits- und Wohnungssuche, sondern auch bei der Bewältigung psychischer und gesundheitlicher Probleme.
 
Mehr als ein Dach überm Kopf
Einrichtungen wie das Wichernhaus leisteten weit mehr, als den Haftentlassenen ein Dach über dem Kopf zu geben, weiß Heike Moerland, Leiterin des Geschäftsfeldes Berufliche und Soziale Integration bei der Diakonie RWL. Die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter kümmerten sich dort um Menschen mit vielschichtigen sozialen Schwierigkeiten. "Die Straffälligenhilfe ist ein kleines Arbeitsfeld, das aber gesellschaftlich hochrelevant ist", betont Moerland. Denn die Integration der früheren Strafgefangenen in die Gesellschaft sei Voraussetzung, um neue Straftaten zu verhindern. In Nordrhein-Westfalen saßen laut Justizportal NRW im vergangenen Jahr durchschnittlich rund 13.800 Menschen in Vollzugsanstalten ein. Im Durchschnitt werden etwa 45 Prozent nach der Haftentlassung wieder rückfällig.
 
Wer nach der Entlassung aus dem Gefängnis einen der 28 Plätze im Wichernhaus ergattert, hat Glück. Denn es gibt stets eine Warteliste. In der Regel würden sich die Bewohner bereits während der Haft bewerben, sagt Söder. Chancen auf einen Platz hat nur, wer Motivation mitbringt. „Wir nehmen ausschließlich Bewerber auf, die bereit sind, wirklich etwas zu verändern." Mit jedem Klienten schließt Söder vor dem Einzug einen Betreuungsvertrag, der Regeln, aber auch individuelle Ziele festlegt. Dazu gehöre zum Beispiel auch die Bereitschaft, wenn notwendig, eine Entgiftung oder eine Therapie zu machen.
 
Geregelter Tagesablauf
Bei vielen der Neuankömmlinge bestehe die Aufgabe zunächst darin, sie wieder an einen geregelten Tagesablauf zu gewöhnen, berichtet Söder. Die Bewohner, die nicht bereits wieder berufstätig sind oder eine Ausbildung machen, sind verpflichtet, jeden Vormittag an einem Arbeitsprogramm teilzunehmen. Unter Aufsicht einer Hauswirtschafterin putzen sie die Gemeinschaftsräume und das Treppenhaus. Mittwochs lernen sie unter Anleitung eines Schreiners in der hauseigenen Schreinerei, kleine Möbel zu bauen. „Es gibt Bewohner, die ohne dieses Morgenprogramm gar nicht aus dem Bett kommen würden", weiß Söder. Die Teilnahme ist jedoch Pflicht. Wer mehrfach fehle, werde abgemahnt und bei häufigerem Schwänzen werde auch gekündigt. Bevor es jedoch so weit kommt, leisten die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter des Hauses aber viel Unterstützung. Vor allem Bewohner mit Depressionen würden sie oft mehrfach wecken, um sie zum Aufstehen zu motivieren, sagt Söder.
 
Beim Einzug ins Wichernhaus stellen die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter mit jedem Bewohner einen Hilfeplan mit konkreten Zielen auf. Dazu gehört etwa die Suche nach Arbeit oder einer Ausbildung. Manche Bewohner holen auch einen Schulabschluss nach. Viele Haftentlassene kämen mit einem ganzen Bündel von Problemen, sagt Söder. In regelmäßigen Einzelgesprächen werde nach Lösungen gesucht. So seien viele ihrer Klienten überschuldet oder müssten Ratenzahlungen an Opfer leisten. Viele hätten Schwierigkeiten, den Kontakt zur Familie und vor allem zu ihren Kindern wiederherzustellen. Und oft hätten sich auch gesundheitliche Probleme angestaut. Das Wichernhaus vermittelt dann zu Ärzten oder in Therapien. „Wir versuchen hier immer, die Ressourcen jedes einzelnen aufzuzeigen", betont Söder. Die Atmosphäre im Haus sei sehr familiär. "Manche erleben hier zum ersten Mal ein wenig Geborgenheit."
 
Übergänge besser gestalten
Sorgen macht Söder allerdings die Lage auf dem hart umkämpften Wohnungsmarkt. Die ehemaligen Strafgefangenen hätten extrem schlechte Chancen, ein eigenes Zuhause zu finden. Doch der Aufenthalt im Wichernhaus ist zeitlich begrenzt. Die normale Verweildauer betrage in der Regel 18 Monate, sagt Söder. Mittlerweile seien es aber durchschnittlich zwei Jahre. Bislang habe sie noch keinen Bewohner in die Obdachlosigkeit entlassen müssen. „Aber ich fürchte, dass das eines Tages passieren könnte."
 
Angesichts der Wohnungsknappheit werde die Nachfrage nach stationären Plätzen wie denen im Wichernhaus steigen, erwartet Heike Moerland. Um die Rückfallquote zu senken, brauche es ein verbessertes Übergangsmanagement von der Haft in die Freiheit. Die Haftentlassenen sollten aus Sicht der Diakonie RWL einen gesetzlich festgeschriebenen Anspruch auf Beratung haben. Allerdings gebe es dafür derzeit nicht genügend Beratungsstellen, stellt Moerland fest. In Nordrhein-Westfalen betreiben Träger der Freien Straffälligenhilfe derzeit 13 Beratungsstellen in acht Städten. Weite Landesteile sind unversorgt. Die Diakonie RWL fordert deshalb, in allen Kreisen und Kommunen des Landes Beratungsmöglichkeiten zu schaffen, die verlässlich finanziert werden. Helfen würde es auch, Strafgefangenen möglichst frühzeitig Ausgang oder offenen Vollzug zu ermöglichen, damit sie sich eine Arbeit oder eine Wohnung suchen könnten, sagt Moerland.
 
Es besteht aber Hoffnung auf eine Verbesserung der Situation in Nordrhein-Westfalen. Denn der im vergangenen Jahr geschlossene Koalitionsvertrag zwischen CDU und Grünen sieht ausdrücklich eine Ausweitung des Übergangsmanagements und eine intensive Hilfestellung bei der Arbeits- und Wohnungssuche für Haftentlassene vor. „Wir als Freie Wohlfahrtspflege überlegen derzeit mit der Justiz und anderen Akteuren, wie man das gut gestalten könnte", sagt Moerland.
 
Text: Claudia Rometsch

Das Interview | Zurück ins Leben